Samstag, 14. November 2015

Die Mutter-Kolumne: Wenn, dann richtig – Verbieten

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wie so eigentlich?

Mir macht diese Kolumne riesigen Spaß und sie fällt mir auch nicht besonders schwer, denn ich kann einfach nur aus meinem Leben mit meinen Kindern erzählen. Irgendwie haben wir nämlich meistens alles etwas anders gemacht, als man es gemeinhin so macht.

Seit der Oktoberausgabe 2015 also in der eltern.family und immer um einen Monat versetzt auch hier. Viel Freude damit!


„Komm da bitte runter, Schatz“, forderte ich in bemüht ruhigem Ton.
„Nö“, antwortete das Kind kurz und knapp.
Ich versuchte, nicht zu schnauben. „Du kommst da bitte runter.“
„Warum?“, fragte das auf der Mauer hockende Kerlchen.
„Weil ich dir verbiete, da oben herumzuklettern“, sagte ich und kam mir etwas albern vor.
„Warum?“, fragte es auch prompt.

Ja, warum eigentlich? So hoch war diese Bruchsteinmauer tatsächlich nicht. Ein Sturz auf den von Brennnesseln überwucherten Kies hätte eher eine wichtige Erfahrung denn eine schlimme Verletzung zur Folge gehabt. Allerdings hatte ich begonnen, aus weiser Voraussicht ein Verbot auszusprechen. Das musste ich nun hieb- und stichfest begründen, damit mein Kind verstand, dass es in Gefahr schwebte und ich ihm nicht nur den Spaß verderben wollte.
„Weil das gefährlich ist. Weil du da runterfallen und dich verletzen kannst“, erklärte ich und beobachtete mit klopfendem Herzen den auf dem bröckligen Sims unsicher wackelnden Spross.
„Ich passe auf“, tönte der.
„Ich möchte aber, dass du da runter kommst“, wiederholte ich drängend.
„Und ich will oben bleiben. Du hast Angst. Ich nicht“, krähte das Kind, richtete sich zu seinen vollen Einsdreiundzwanzig auf und stolperte auf seinem schmalen unebenen Weg voran.
Ich schnappte nach Luft.

In der Zwischenzeit war ein anderes Kind dem Beispiel gefolgt.
„Runter da, Dennis!“, schallte es kurz und knapp.
Klein Dennis ließ sich ratzfatz wieder von der Mauer gleiten. Dabei warf er dem in luftiger Höhe munter Voranstürmenden einen neidisch-sehnsüchtigen Blick nach. Dann schaute er finster zur so barsch verbietenden Mutter. Ich auch. Wie die mit ihrem Kind sprach, ohne jeder Erklärung!
„Diskutiert wird bei uns nicht“, ließ mich die resolute Frau wissen, als hätte sie meine Gedanken lesen können.
„Na ja –“, begann ich.
Mein 7-Jähriger unterbrach mich jedoch, weil er schreiend von der Mauer fiel.

Etwas später saßen wir im Wartezimmer.
„Tut überhaupt nicht weh“, presste der Kleine hervor.
„Ich weiß“, sagte ich und strich ihm über die tränenverschmierten Wangen. Der Schmerz der aufgeschlagenen Knie und blutenden Hände war sicher auszuhalten. Aber weh hatte das Herunterfallen dennoch getan. Irgendwo tief in der kleinen Brust hockte nun ein raunender Schatten: Du hast das nicht geschafft, du bist gescheitert.
Ich atmete tief durch und überwand meine Angst. „Wirst du es morgen noch einmal probieren?“, fragte ich leise.
„Nee, morgen nicht“, sagte das Kind und schnüffelte. „Aber übermorgen. Weißt du, es ist nicht soooo gefährlich.“
Ich nickte beklommen.
Mein Sohn schaute zu mir hoch. „Aber bei echter Gefahr, wenn so eine Mauer richtig hoch ist, Mama, dann musst du es mir auch richtig verbieten“, sagte er mit gewichtiger Stimme. „Ohne Bitte und Schatz und die ganzen Erklärungen.“
„Würdest du denn wie dieser Dennis einfach herunterkommen?“, fragte ich.
Das Kind überlegte. „Mhm, wenn du immer nur Sachen verbieten würdest, die ganz wirklich gefährlich sind, dann ja.“
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, wurde mein Kind ins Arztzimmer gerufen. Erschüttert schaute ich ihm nach. Wie klug es war. Geradezu unheimlich.

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