Sonntag, 14. Juni 2015

„Vielleicht schreiben deutsche Kinderbuchautoren einfach nicht besonders gut“. BÄHM! – Frau Herden macht sich darüber Gedanken



Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einer Kollegin über das Schreiben und die Qualität von Kinderbüchern. Thema war eines, das im letzten Jahr gar zu Protesten führte: der Fokus der großen Verlage auf Lizenzen und dass man nunmehr auf der Auswahlliste des Kinder- und Jugendbuchpreises kaum noch einen deutschen Titel findet.

Woran liegt das?

Nachdem wir Sterotypen wie „die Verlage gehen keine Risiken ein, darum kaufen sie Lizenztitel, die schon im Ausland erfolgreich liefen“ und „die Verlage gehen keine Risiken ein, darum lektorieren sie selbst wilde Bücher zum gefälligen Mittelmaß herunter“ abgehakt hatten, kam plötzlich ein Satz von meiner Kollegin, der mir noch immer im Kopf herumspukt:

„Vielleicht schreiben deutsche Kinderbuchautoren einfach nicht besonders gut“.

BÄHM!

Ich überlegte erschrocken und musste ganz ehrlich eingestehen, es gibt tatsächlich nicht so viele deutsche Kollegen, deren Bücher mich interessieren oder gar faszinieren, während mich einige Lizenztitel geradezu in einen Rausch versetzt haben. Und das im Kinder- und Jugendbuchbereich. Momentan lese ich wieder so ein Buch. Es soll für 12Jährige herhalten, doch bedeutet dieser Aspekt keine Grenze. Ein hyperempathisches Mädchen nimmt einen in klugen Worten mit auf eine Reise, die Innen und Außen völlig verschwimmen lässt, was durch fehlende Zeichen, um die wörtliche Rede zu markieren, noch verstärkt wird. Thematisch geht es um das Verschwinden, um das Erwachsenwerden und dass dies ein nie abgeschlossener Prozess ist. Zumindest nicht mental. Wunderbar! Aber nicht von einem deutschen Autoren.

„Ja, aber die Verlage erlauben es ja gar nicht, dass der deutsche Autor mal so richtig durchdreht, sich im Schreiben verliert, Satzzeichen ignoriert, Bilder entwirft, die einen herumwirbeln, Geschichten schreibt, die einen ganz leise töten oder laut gegen die Wand donnern“, höre ich es aus dem Autoren-Off jammern. Zumindest so ungefähr.

Aber stimmt das tatsächlich?

Ist es nicht auch so, dass man dem Verlag etwas nach dem Munde schreibt, damit man seine Miete bezahlen kann? Das ist für einen Kinderbuchautoren nämlich nicht einfach, gar ein großes Glück, sollte es ihm gelingen. Die Spiegel-Bestsellerliste gibt den Verlagen ja auch Recht, nicht wahr, denn das Volk scheint genau diese etwas einfache (oft lustige und gefällige) Kost zu goutieren. Oder geschieht das nur aus reiner Verlegenheit? Finden die Menschen da draußen die guten Bücher einfach nicht, weil die anderen so laut schreien? Muss man die Leute quasi erziehen oder ihnen zumindest eine deutlich erkennbare Vielfalt und Auswahl bieten? Aber ist es nicht auch so, dass die Massen gar nicht so gerne auswählen möchten, weil Auswahl eben auch Verantwortung bedeutet? Und wer übernimmt die heutzutage noch gern? Kleine, von Fachkräften geführte Buchhandlungen bieten für diese Fall zwar händeringend ihre liebevolle Hilfe an. Doch ignoriert fristen viele von ihnen ein notdürftiges Überleben oder sterben gar. Dabei kosten dort die Bücher genau dasselbe.

Das sind Dinge, die man nur schwerlich versteht, will man nicht zum Misanthropen mutieren.

Also schreibt der kluge Autor intelligenterweise dieser unsäglichen Spiegelbestsellerliste, dem Amazonranking und den erhofften Verkaufszahlen hinterher, oder? Ich möchte niemandem auf den Schlips treten, aber ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass das nicht soooooo weit hergeholt ist. Irritierend finde ich es dann jedoch, wenn im Nachhinein protestiert und gejammert wird, dass man mit eben diesen Titeln keine Literaturpreise einholt und einem zum Geburtstag vom Verlag kein großes Fest ausgerichtet wird.

„Vielleicht hast du recht“, sagte ich leise zu meiner klugen Kollegin und überlegte, wie das denn bei mir ist.

Mein erstes Kinderbuch schrieb ich Zack! in zwei Wochen, um meinem Herrn Papa zu beweisen, dass ich so etwas kann. Es muss irgendwie gut oder passend gewesen sein, denn ein großer Verlag kaufte es. Es war jedoch kein Kinderbuch. Dazu wurde es erst im Lektorat, das mich nicht nur schlaflose Nächte kostete, sondern auch Wutgebrüll, Millionen Tränen, Hass und Verzweiflung hervorbrachte. Es folgte noch ein zweistündiges Telefonat mit dem damaligen Programmleiter, der mir dabei mal eben die goldenen Regeln des Kinderbuchschreibens erklärte. Mein zweites und drittes Kinderbuch schrieb ich dann von vorn herein anders.

Zum Glück erschienen diese in einem kleinen Verlag, dessen Lektorin mich wieder zu mir zurückbrachte, weil sie meinen Humor und meine Gedankengänge verstand und es wagte, Bücher für Kinder zu gestatten, die nicht nur Witz und Abgefahrenes mochten, sondern auch Verstand und Intelligenz. Die in anderen Worten, den kleinen Leser nicht per se unterschätzte.

Trotzdem war ich noch nicht ganz da, wo ich hinwollte. Das merkte ich, wenn ich beispielsweise des nachts bei einem Glas Wein geschriebene Passagen am nächsten Morgen wieder löschte.

Ein Verlagswechsel eröffnete mir wieder eine neue Perspektive. Ich hatte das große Glück, mit 40 geschriebenen Seiten und einem damals noch etwas schwammigen Konzept einen Vertrag über drei Bände zu bekommen. Ich hatte zudem das große Glück, eine Lektorin an die Seite gestellt zu bekommen, die mit mir dermaßen gut harmoniert, dass ich mir sogar vorstellen könnte, mit ihr ein Jahr im VW Bus um die Welt zu fahren.

Und ich selbst hatte mir den Kniff überlegt, meinen erzählenden Helden hochintelligent sein zu lassen. Wer könnte so einer Figur guten Gewissens philosophische Gedanken, naturwissenschaftliche Erklärungen und Schachtelsätze absprechen?

Momentan bin ich mitten im dritten Band. Es scheint mir fast, als hätte ich mich mit diesen drei Büchern um Anton und Marlene noch freier geschrieben. Ich wage mich an Themen, die mich selbst stark berühren und denke: „Kids, da müsst ihr jetzt durch. Kommt mit oder lasst euch an der Biegung des Flusses begraben.“

Ob ich damit mal einen Preis gewinnen werde, weiß ich nicht. Ob die Bücher den Kindern gefallen werden, weiß ich heute auch noch nicht, und darum auch nicht, ob sie mir die Miete zahlen werden.

Aber ich bin verdammt aufgeregt. Und ich will lernen. Ich will lernen so zu schreiben, dass sich die Kinder (und vielleicht auch einige Erwachsene) mit meinen Büchern in einen Rausch lesen.

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